Als ich diese Serie anfing, hatte ich keine Erwartungen. Sie wurde mir von niemandem persönlich empfohlen, ich habe aber im Netz oft gehört, wie gut sie sein soll. Also habe ich mal reingeguckt. Was nun folgt, ist ein Erfahrungsbericht.
*** Achtung: enthält kleine Spoiler! ***
Die Show von Kurt Sutter dreht sich um den fiktiven Biker-Club „Sons of Anarchy“, welcher an die berühmt-berüchtigten „Hells Angels“ angelehnt ist. Ich kenne mich in der realen Biker-Szene nicht aus, erwartet also keine Vergleiche zum echten Leben. Der Club ist, wie so viele seiner Art, in Charter eingeteilt, ein Charter für eine Region, mit festen Mitgliedern, jedes Charter hat eigene Regeln und führt seine eigene Politik. Im Mittelpunkt der Serie steht der „Sons of Anarchy Motorcycle Club Redwood Original“ (SAMCRO), welcher sich in der fiktiven Stadt Charming, CA befindet. Wie der Name schon sagt, ist dies das erste Charter, dort wurde der Club gegründet und der Präsident dieses Charters hat am meisten zu sagen. SAMCRO hat eine sehr steile Hierarchie, es gibt einen Präsidenten, seinen Vize, einen Schatzmeister und den „Sergeant at Arms“, der sich um das allgemeine Wohlbefinden kümmert. Die wichtigsten Mitglieder stimmen in der sogenannten „Kirche“ über die wichtigsten Belange ab, jedoch wird schnell klar, dass der Präsident so gut wie alles im Alleingang kontrolliert. Die Fassade der kriminellen Organisation ist passenderweise eine Auto- und Motorradwerkstatt.
Als Hauptcharakter wird uns der junge Jackson „Jax“ Teller (Charlie Hunnam) vorgestellt, Sohn des verstorbenen John Teller, welcher mit 8 Freunden den Club gegründet hat und dessen erster Präsident war. Dieser ist in einem Unfall umgekommen, aber es wäre ja keine amerikanische Drama-Serie, wenn da nicht mehr dahinter stecken würde. Die restlichen Hauptcharaktere sind:
- Clay Morrow (Ron Perlman), Teil der First 9, aktueller Präsident des Charters,verheiratet mit
- Gemma Teller (Katey Sagal), Jax‘ Mutter, Witwe von John Teller. Sie ist eine skrupellose Power-Frau, die alles in ihrer Macht stehende tut, um ihre Familie zu schützen.
- Tig Trager ( Kim Coates), ein leicht perverser, aber sehr lustiger „Bruder“, außerdem eine meiner Lieblingsfiguren.
- Filip „Chibs“ Telford (Tommy Flanagan), ein schottischer Biker, der aufgrund seiner Vergangenheit sehr brutal vorgeht, und den man aufgrund seines Akzents kaum versteht. Ich muss gestehen, dass ich mich ein bisschen in ihn verliebt habe.
- Juice Ortiz (Theo Rossi), der IT-Experte des Charters, er ist puertorikanischer Abstammung und das neueste Mitglied. Von seinen IT-Fähigkeiten merkt man leider herzlich wenig.
- Bobby „Elvis“ Munson (Mark Boone Jr.), ein gutherziger Freund von Clay, bei dem man sich im Laufe der Serie immer wieder fragt, wie zum Teufel er in diesen skrupellos kriminellen Saftladen hineingeraten konnte. Ich vergleiche ihn gerne mit Rubeus Hagrid, hauptsächlich wegen seinen Haaren und seinem Bart.
- Piney Winston (William Lucking), ein asthmatischer alter Mann. Er gehört längst in ein Pflegeheim, jedoch ballert er sich ketten rauchend durch das Rentenalter.
- Harry „Opie“ Winston, Jax‘ bestem Freund, verheiratet mit einer nervigen Zicke, die man am liebsten erschießen würde. Sohn von Piney.
- Wendy Case (Drea de Matteo), die drogenabhängige Ehefrau von Jax. Sie bekommt ein Kind von ihm.
- Tara Knowles (Maggie Siff, bester Name übrigens), Jax‘ Jugendliebe.
- Wayne Unser (Dayton Callie), der dauerkiffende Polizeichef. Er steckt in der Tasche des MCs und macht kein Geheimnis daraus. Im Prinzip fehlt ihm zur Mitgliedschaft nur die Bikerkutte.
- „Happy“ Lowman (David Labrava), ein Killer wie er im Buche steht. Er wird von einem echten Hells Angel gespielt und kommt leider viel zu wenig vor.
- „Half-Sack“ Epps (Johnny Lewis), ein naiver, vegetarischer Bursche. Am Anfang der Serie ist er ein Prospect (eine Art Testmitglied, der die Drecksarbeit für die „echten“ Mitglieder ausführt), er soll wohl als Identifikationsfigur für den Zuschauer dienen. Sein Spitzname kommt daher, dass ihm sein halber Hoden im Krieg weg geschossen wurde. Trägt absolut nichts zur Handlung bei, ist aber immer wieder lustig.
Viele Hauptfiguren müssen auch viele Alleinstellungsmerkmale mit sich bringen.
Die Leute, die jetzt noch dabei sind, werden gemerkt haben, dass es viele Figuren gibt. Also wirklich viele. Ich habe noch nicht mal viele aufgezählt, es sind viele. Sehr, sehr viele. Manche würden sagen, es sind zu viele, doch da jeder Charakter viele Alleinstellungsmerkmale hat, ist das für mich absolut nicht schlimm. Damit sind wir auch beim Punkt angekommen, mit dem meiner Meinung nach eine Serie steht und fällt: Wie sind die Charaktere geschrieben? Die Antwort ist gut. Fast jede Figur ist mit viel Tiefe und Hintergrund ausgestattet. Die Betonung liegt dabei auf „fast“. Mir fallen zwei Personen ein, auf die das nicht ganz zutrifft.
Die Erste ist Gemma. Sie ist eine Frau in den besten Jahren, eine Witwe, die unglücklich in ihrer zweiten Ehe steckt. Sie hat schon einen Sohn verloren, und durch dieses Trauma hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Familie zu beschützen. Das klingt doch erst mal gar nicht so schlecht. Mein Hauptproblem mit Gemma Teller ist, dass sie absolut irrational und unkontinuierlich handelt. In einem Moment ist sie die starke, unabhängige Frau, die auf offener Straße die Mätresse ihres Mannes mit einem Skateboard verprügelt, im Nächsten heult sie sich bei zufällig ausgewählten Clubmitgliedern über ihr hartes Leben aus, danach betrügt sie ihren Mann, dann fährt sie komplett zugedröhnt Auto und tötet fast ihre Enkelkinder. Man könnte argumentieren, dass das doch alles nachvollziehbar sei und dass sich echte Menschen im echten Leben doch auch so verhalten, doch das ist nicht das echte Leben, das ist eine Fernsehserie. Wenn jeder Charakter rational handelt, wirkt es komisch, wenn plötzlich jemand daherkommt und dieses simple System über den Haufen wirft.
Die zweite Figur, die ich kritisieren möchte, ist leider Gottes die Hauptfigur. Jax Teller ist jung, er hat Style und das Geld und eine strahlende Zukunft im Club vor sich. Jedoch trauert er um seinen Vater und seinen Bruder. Leider erfahren wir fast nichts über diese Leute! Ganz am Anfang findet Jax ein Manuskript seines Vaters, welches beschreibt, wie der MC vom Weg abgekommen ist. Dieses Manuskript ist am Anfang der ersten Staffel der Dreh- und Angelpunkt, verliert jedoch sehr schnell an Bedeutung und wird von den anderen Storylines verdrängt. Die Wahrheit ist, John Teller war ein Hippie, der mit seinen Freunden kleine Sonntagstouren machen wollte. Nur leider ist es in einer Demokratie so, dass etwas geändert wird, wenn der Großteil es anders sieht. Und wenn der Großteil des Clubs mit Waffenhandel und Pornografie sein Geld verdienen möchte, ist das nun mal so. Jax‘ verstorbener Bruder wird im Laufe der Serie ein paar Mal erwähnt, spielt aber leider nie wirklich eine große Rolle. Wieso schreibt man eine gute und tiefe Vergangenheit für seinen Hauptcharakter, wenn diese nie wirklich wichtig wird?
Ein anderer Hauptaspekt unseres Protagonisten ist die Vaterfigur. Oder die fünfzigtausend Vaterfiguren, die er hat. Jax ist einsam, er hat keinen Halt in dieser Welt, er braucht einen Daddy, und er hat eine enorme Auswahl: Clay, sein Stiefvater, den er in der Präsidentenrolle beerben wird; Chibs und Tig, gesetze Männer, die ihm viel über das harte Leben beibringen können; Bobby, der Winnie Puuh des Clubs, der ihn ins Herz geschlossen hat; Unser, der ihn immer wieder auf den rechten Weg zurückbringen möchte; Nero Padilla, der dritte Lover seiner Mutter, ein reiner Geschäftsmann, der Jax zeigen kann, wie man ein Unternehmen führt; ich könnte noch weitermachen, aber das würde schnell langweilig werden.
Es gibt zum Teil Kritik auf sehr hohem Niveau, welche mit dem Voranschreiten der Serie immer gravierender wird.
Ich kritisiere sehr viel an dieser Serie, doch im Kern ist sie sehr gut. Der Anfang ist phänomenal, ein politisches Spektakel, welches man auch mit Game Of Thrones vergleichen kann. Leider hat die Show das gleiche Problem wie der namens gebende Motorradclub: sie verläuft sich, verliert sich in Details, setzt den Fokus auf uninteressante Figuren. Die ersten drei Staffeln sind absolut Bombe, maximal noch die Vierte. Das liegt meiner Meinung nach an einem Aspekt: sie sind simpel gestrickt. Es gibt die Sons, die Nazis, die Latinos, die Farbigen und natürlich die Bullen. Jeder hat irgendwie Stress mit jedem, aber irgendwie kommen sie klar, ab und zu ein Massaker, alles paletti. Spätestens an dem Punkt, an dem fast das gesamte Charter nach Belfast fährt, da Jax‘ zweiter Sohn entführt wurde, Jax fast mit seiner Halbschwester intim wird und wir erfahren, dass das Charter in Irland von einem Priester kontrolliert wird, wird es mir zu viel. Sie reisen zurück und die gesamte Handlung steht Kopf. Plötzlich gibt es drei oder vier zusätzliche Organisationen, die alle irgendwie das gleiche machen, eine davon ist eine Subdivision der Sons, die nie zuvor vorkam, alle pöbeln sich innerhalb des Clubs gegenseitig an, jede Folge tauchen ein neuer Polizeichef und zwei neue Staatsanwälte auf, es herrscht pures Chaos. Man könnte auch sagen „Anarchie“, aber ich bezweifle, dass das hinter dem Titel der Serie steckt.
Mein Fazit zu Sons Of Anarchy
Um endlich mal zum Ende zu kommen, möchte ich euch ans Herz legen, die Serie zu gucken, falls ihr das noch nicht getan habt. Falls euch dieser Artikel abgeschreckt hat, hört euch wenigstens den Soundtrack an, der ist nämlich bis zum Ende grandios. Ich gebe der Show 42 von 57 rostigen Motorradfelgen, die meine Verwirrung symbolisieren. Ich möchte keine Punkte vergeben, denn es ist mir nicht möglich, einen Score für dieses Werk zu finden. Hiermit verabschiede ich mich.